Die Lieder Neidharts
Winterlied 19
I
Bluomen und daz grüene gras Blumen und das grüne Gras
beidiu sint verswunden. beide sind verschwunden.
nu treit uns aber diu linde vür die sunne nindert schat; Nun bringt uns aber die Linde gegen die Sonne keinen
Schatten mehr;
ê, dô sî geloubet was, früher, als sie belaubt war,
dô hiet man dâ vunden da hat man unter ihr gefunden
vil maneger hande vreuden: dâne gêt nu nindert phat, vielfache Freuden: Doch der Pfad geht nun nicht mehr zurück,
dâ wir dô wo wir einst
ie sô vrô immer so froh
bî ein ander wâren. beieinander waren.
diu vreude het ein ende, dô diu zît begunde swâren; Die Freude hatte ein Ende, als die schwere Zeit begann;
des trûret manic herze, des gemüete stuont ê hô. das macht manches Herz traurig, das Gemüt stand früher
höher.
II
Rôsen ist diu heide blôz Von Rosen ist die Heide entblößt
von des rîfen twange. durch des Reifes Zwange.
diu vogelîn in dem walde habent nindert obedach. Die Vöglein in dem Walde haben kein Obdach mehr.
winder, dîn unstaetic lôz Winter, dein ungünstiges Los
twinget uns ze lange: zwingt uns zu lange:
von dir und einem wîbe lîde ich leider ungemach, Von dir und einem Weibe erleide ich leider Unfreundlichkeit,
der ich gar der ich gar
mîniu jâr mein ganzes Leben
hân gedienet lange lang gedient habe
von herzen williclîchen, eteswenne mit gesange. von Herzen mit ganzen Willen, manchmal auch mit Gesang.
des ist mir niht gelônet noch, wie kleine ist umbe ein hâr. Das ist mir nicht gelohnt worden, nicht einmal so viel wie ein
Haar.
III
Man sol willetôre sîn Man soll freiwilliger Tor sein
aller guoten wîbe, aller edlen Frauen,
und in ir willen hengen, der ir hulde welle haben: und ihnen zu Willen sein, der ihre Gunst erringen will:
daz ist der geloube mîn, Das ist mein Glaube,
swie sô mir mîn schîbe so wie mir meine Schicksalsbahn
ze wunsche niht enloufe. ich waene, ich werde alsô zum Wunsche nicht verläuft. Ich fürchte, ich werde
begraben, begraben,
dazs ir muot bevor sich ihre Gesinnung
mir ze guot mir zum Vorteil
gein mir iht verkêre. und sich nicht gegen mich wendet.
diu schult diu lît ûf Watken unde ûf jenem Ôtegêre, Die Schuld, die liegt bei Watke und bei jenem Oteger,
daz sî nu alsô dicke mir sô toubez ôre tuot.
daß
sie jetzt so oft nur taube Ohren für mich hat.
IV
Geuden giengen sî gelîch Toren gleich schritten sie
hiwer an einem tanze: neulich bei einem Tanze:
dâ muosten drîe vor im gîgen, und der vierde pheif. Da mußten drei ihm vorgeigen, und der Vierte pfiff.
sîner vreuden was er rîch Er war voll großer Freude
under sînem kranze. unter seinem Kranze.
er nam im, dâ diu schoene gie, vil manegen umbesweif: Besonders da, wo die Schöne ging, strich er unablässig herum:
Erkenvrit Erkenfried
allez mit alles mit
vaste an sînem diehe; dicht an seinen Fersen;
er wunschte, daz er mir an ir daz helmel vor geziehe. er wollte, daß er mir vor ihr das Helmchen herunterriß.
er hât den vuoz verlenket hiwer an einem geilen trit. Er hat den Fuß sich verrenkt, neulich bei einem übermütigen
Gehopse.
V
Dienest âne saelikeit Dienst tun ohne Beglückung,
niemen kann volenden. kann niemand vollenden.
ich hân ez rehte ervunden: kleiner lôn ist mir beschert. Ich habe es genau erfahren: Kleiner Lohn ist mir beschert
worden.
mîn verloren arebeit Meine verlorene Mühe
will mich dicke phenden will mir oft rauben
an vreuden: ungelücke maneger saelden mich behert. die Freuden: Vielfaches Unglück mich der himmlischen Seligkeit
beraubt.
ich verzage, Ich fürchte,
daz mîn klage daß meine Klage
niht ir herze entsliuzet nicht ihr Herz aufschließen kann
und daz er gegen ir in rûnewarten bölzel schiuzet, und das er heimlich beim Tuscheln sein Bölzchen gegen sie
schießt,
sich güffent, daz er mich ze jungist von ir dienste jage. sich
rühmet, daß er mich zuletzt aus ihren Diensten jagt.
VI
Swer versmaehet mînen sanc Jeder der meinen Gesang verachtet
und sîn spottelachet, und seiner spöttisch lacht, dem sage ich:
wol singen unde rûnen habent ungelîchen lôn. Kunstvolles Singen und heimliches Liebesraunen haben
ungleichen Lohn bekommen.
ê, do`r in diu ôren klanc, Früher, da er in euren Ohren klang,
was er ungeswachet. war er unbehelligt.
nu klinget er ûf zwîvel, niene ûf rehten lobes dôn. Nun klingt er zweifelhaft, nicht mehr im Ton eines rechten
Preisliedes.
minne riet, Die Minne riet mir,
daz ich liet daß ich Lieder
nâch ir hulden sunge. für ihre Gunst singen soll.
daz tet ich unde wânt des niht, daz mir dâ misselunge: Das tat ich und überwand es nicht, daß mir das mißlang:
nu laet mir niht gelingen ein vil hiuziu dörperdiet. Nun läßt mich keinen Erfolg haben ein großes übermütiges
Dörpervolk.